Variationen in der Atmosphäre und den Ozeanen existieren auch auf kurzen Zeitskalen und bewegen dabei große Mengen an Masse auf der Erdoberfläche. Auch wenn die GRACE-Satellitenmissionen dafür ausgelegt sind, großräumige Massenvariationen zu messen, so sind ein Teil der Bewegungen in Atmosphäre und Ozean zu schnell, um von den Satelliten korrekt erfasst zu werden, und können die finalen GRACE-Lösungen deutlich degradieren. Um das Problem zu umgehen, müssen diese Variationen auf der Erdoberfläche regelmäßig simuliert und in den GRACE-Daten korrigiert werden.
Text: Linus Shihora, GFZ
GRACE- und GRACE-FO-Messungen sind ein unschätzbares Instrument zur Beobachtung großräumiger Veränderungen in unserem Erdsystem. Zum einen enthalten die Satellitendaten alle Massenänderungen unabhängig davon, ob sie auf der Erdoberfläche sichtbar sind oder nicht. Zum anderen decken die final berechneten Schwerefelder dank der Ausrichtung der Umlaufbahnen, die immer über die Rotationspole der Erde führen, die gesamte Erdoberfläche ab.
Um diese globalen Lösungen mit einer ausreichenden Genauigkeit und räumlichen Auflösung zu erreichen, müssen die GRACE-Messungen jedoch in der Regel einen Monat lang akkumuliert bzw. gesammelt werden. Erst dann wird eine endgültige Monatslösung berechnet.
Dies wirft jedoch das Problem auf, dass nicht alle Massenänderungen im Erdsystem auf monatlichen Zeitskalen stattfinden, sondern einige auch bei höheren Frequenzen. Dazu gehören vor allem die Gezeiten, aber auch Veränderungen in der Atmosphäre oder der allgemeinen Ozeanzirkulation treten auf submonatlichen Zeitskalen auf. Diese hochfrequenten Signale können durch die GRACE-Messungen nicht aufgelöst werden und gehen stattdessen als sogenanntes Rauschen in die Daten ein, welches die endgültigen monatlichen Lösungen verschlechtert. Dieses Phänomen wird allgemein als temporales Aliasing bezeichnet.
Animation: Schwankungen des atmosphärischen Drucks an der Erdoberfläche
Die obige Animation veranschaulicht das Problem. Sie zeigt die Schwankungen des atmosphärischen Drucks an der Erdoberfläche, und damit atmosphärische Massenvariationen, und die Bodenspur der GRACE-FO-Satelliten in der ersten Woche des Jahres 2019. Das Muster der Satellitenspur zeigt, warum GRACE-Daten normalerweise für einen ganzen Monat akkumuliert werden. Für kürzere Zeiträume wird die Erdoberfläche nicht dicht genug abgetastet, so dass die räumliche Auflösung der endgültigen Schwerefelder viel gröber sein müsste. Darüber hinaus zeigen die animierten Veränderungen des atmosphärischen Druckes die Schwierigkeiten, die sich aus dem zeitlichen Aliasing ergeben. Während es einige Tage dauert, bis die Satelliten einen bestimmten Bereich der Erde erneut besuchen, hat sich die atmosphärische Masse in dieser Region in dieser Zeitspanne stark verändert. Eine Veränderung, die von den Satelliten nicht erfasst wird, kann auch nicht aus den GRACE-Messungen wiedergewonnen werden.
Der übliche Ansatz zum Umgang mit zeitlichem Aliasing besteht darin, diese hochfrequenten Schwankungen mit Hilfe globaler Modelle zu simulieren und die Signale anschließend von den GRACE-Messungen abzuziehen. Während die Gezeiten separat behandelt werden, werden nicht-gezeitenabhängige Variationen in der Atmosphäre und im Ozean routinemäßig vom GFZ vorhergesagt und seit dem Start der ursprünglichen GRACE-Mission im Jahr 2002 allen internationalen GRACE-Prozessierungszentren als AOD1B-Datensatz zur Verfügung gestellt.
AOD1B besteht aus atmosphärischen Reanalysedaten, d.h. aus Daten eines Atmosphärenmodells, das mit einer großen Anzahl von Messdaten kombiniert wird und somit die beste globale Darstellung des Zustands der Atmosphäre über lange Zeitskalen liefern soll. Die atmosphärischen Daten werden dann mit Simulationen mit dem MPIOM Ozeanmodell, das vom Max-Planck-Institut für Meteorologie entwickelt und vom GFZ für AOD1B angepasst wurde, kombiniert. Die AOD1B-Zeitreihe wird täglich routinemäßig simuliert und den GRACE-Prozessierungszentren öffentlich zur Verfügung gestellt, findet aber auch in einer Vielzahl anderer geophysikalischer Anwendungen Gebrauch, wie z.B. der Berechnung vertikaler Verformungen der Lithosphäre aufgrund von Oberflächenbelastungen oder der Vorhersage von Änderungen der Erdorientierung als Reaktion auf Massentransporte in Atmosphäre und Ozean.
Ein Beispiel für das finale AOD1B Datenprodukt ist in der folgenden Animation zu sehen, die die Schwankungen der atmosphärischen Masse über der festen Erde und der ozeanischen Masse über den Ozeanen für den gesamten Monat Januar 2019 zeigt.
Animation: Masseschwankungen der Atmosphäre und der Ozeane im Januar 2019
Um auch die Verarbeitung von Satellite Laser Ranging (SLR)-Beobachtungen zu unterstützen, die an mehr als 30 über die ganze Welt verteilten Stationen, einschließlich des Telegrafenbergs, gesammelt werden, wurde AOD1B rückwärts bis zum Jahr 1975 erweitert, als die ersten speziellen SLR-Satellitenmissionen gestartet wurden. Daher ist es möglich, auch den gesamten SLR-Datensatz konsistent zu GRACE und GRACE-FO zu verarbeiten, was die einzigartige Möglichkeit bietet, (niedrig aufgelöste) Informationen über Massenänderungen auf der Erde im Laufe der letzten 50 Jahre abzuleiten.